Wunsiedels Landrat Peter Berek stellte auf dem 4. AKDB Kommunalforum am 1. Oktober die Digitalisierungsstrategie des Projektes "Smartes Fichtelgebirge" vor. Wir fragten ihn, wie er Bürger in das Projekt einbindet und wie die Digitalisierung die Lebensverhältnisse einer strukturschwachen Region nachhaltig verbessern kann.
Inwieweit kann Ihr Landkreis als Modellregion für eine ganzheitliche Digitalisierungspolitik gelten?
Wunsiedel i. Fichtelgebirge ist bislang der einzige Landkreis in Deutschland, der als Modellregion für das BMI-Projekt "Smart Cities" ausgewählt wurde. Dieses Projekt läuft bei uns unter dem Namen "Smartes Fichtelgebirge", um sowohl digitale als auch nachhaltige Zukunftsvisionen des Kreises zu entwickeln. Dabei ist es unser Ziel, smarte Anwendungen umzusetzen, die sich auch auf andere ländliche Regionen übertragen lassen.
Insgesamt betrachten wir zwölf Handlungsbereiche: Infrastruktur, Mobilität, Gesundheit, Wirtschaft, Energie und Klimaschutz, Natur und Landwirtschaft, Bildung, Soziales, Tourismus und Kultur, Image, Verwaltung sowie das Ehrenamt. Durch die enge Vernetzung und Beteiligung der Stakeholder, sollen lokal relevanten Maßnahmen identifiziert werden, mit deren Hilfe konkrete Probleme behoben bzw. Vorgänge verbessert werden können. Diese können dann – Erfolg der Maßnahme vorausgesetzt – von anderen Regionen mit gleicher Problemstellung übernommen werden.
Generell wollen wir uns jedoch nicht in den Dienst der Digitalisierung stellen. Es geht vielmehr darum, uns die Möglichkeiten der Digitalisierung gewinnbringend zu Nutze zu machen und sie in den Dienst der Menschen hier im Landkreis zu stellen.
"In unserem Projekt 'Smartes Fichtelgebirge' werden Bürger von Anfang eingebunden und während der gesamten Strategiephase bis hin zur Umsetzung zum Mitmachen aufgerufen."
Wie binden Sie dabei Ihre Bürgerinnen und Bürger mit ein?
Bei unserem Projekt "Smartes Fichtelgebirge" handelt es sich explizit um ein Bürgerbeteiligungsprojekt, d. h. die Bürger werden von Anfang eingebunden und während der gesamten Strategiephase bis hin zur Umsetzung zum Mitmachen aufgerufen. Am 30.04.20 startete offiziell unsere erste Bürgerbeteiligungsphase. Wir haben eine Online-Beteiligungsplattform entwickelt, um von den Bürgern Herausforderungen unseres Landkreises in allen zwölf Handlungsfelder abzufragen und erste Ideen für Lösungsansätze zu sammeln.
Auf der Plattform konnten die Bürger bis zu 44 Fragen zu den zwölf Handlungsfeldern kommentieren und für sie besonders relevante Themen markieren. In der Folgewoche wurde zudem ein Fragebogen via Postwurfsendung an alle und somit über 41.000 Haushalte im Landkreis verschickt. Es liegt uns sehr am Herzen, allen Bürgern eine Möglichkeit zu bieten, mitzumachen. Durch den Postwurf und ein kostenloses Rücksendeformular konnten sich somit auch diejenigen beteiligen, die sich online nicht registrieren konnten oder wollten. Offiziell wurde die erste Bürgerbeteiligungsphase am 15.06.2020 beendet, um die Ergebnisse auszuwerten und die nächste Phase vorzubereiten.
Das Informieren, Kommentieren und Diskutieren auf der Plattform ist jedoch jederzeit möglich. Insgesamt sind wir mit dem Feedback sehr zufrieden! In ca. sechs Wochen hatten sich über 750 Personen auf der Plattform registriert und es wurden ca. 400 Fragebögen zurückgesandt. 1.150 Beteiligungen in diesem Zeitraum sind ein sehr guter Wert und zeigen, dass viele zusammen mit uns das Fichtelgebirge zukunftsfähig und nachhaltig gestalten wollen. Insgesamt gingen ca. 1.000 Kommentare und über 2.700 Abstimmungen zur Themenpriorisierung ein.
In der nächsten Phase des Projektes wurde die Vielzahl an Herausforderungen ausgewertet und für sogenannte Expertenworkshops aufbereitet. Seit Ende Juni 2020 findet für jedes der zwölf Handlungsfelder ein Workshop mit lokalen und überregionalen Akteuren im Landratsamt Wunsiedel i. Fichtelgebirge statt.
"Günstiger Wohnraum und schöne Landschaft werden langfristig als Argumente nicht ausreichen, um Menschen zu überzeugen, zu uns ins Fichtelgebirge zu ziehen."
Kann man mit der Digitalisierung Impulse für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in einer strukturschwachen Region setzen?
Unsere Lösungen sollen praxisnah sein und den Bewohnern ländlicher Räume einerseits das Leben erleichtern und andererseits die wirtschaftliche Entwicklung weiter positiv beeinflussen. Somit möchten wir die Lebensqualität im Landkreis Fichtelgebirge weiterhin steigern, die Teilhabe und Demokratie unterstützen und die regionale Wirtschaft stärken. Gleichzeitig ist es uns natürlich sehr wichtig, den Schutz der Interessen und der Privatsphäre der Bürger zu berücksichtigen.
Besonders im Bereich der Gesundheit und Pflege, kann die Digitalisierung helfen, die Abläufe effizienter zu gestalten und das bestehende Personal zu entlasten, indem z. B. nicht für alle Aufgaben unnötige Wege zurückgelegt werden müssen oder zusätzliche Expertise online eingeholt werden kann (Stichwort: Telemedizin).
Im Bereich der Mobilität sind die Kernherausforderungen Effizienz und Flexibilität, aber vor allem die Ermöglichung einer flächendeckenden Mobilität steht hier im Fokus. Es müssen Alternativen für das eigene Auto geschaffen werden, sowie neue und bestehende Angebote zu innovativen Konzepten verknüpft werden. Viele Kommentare der Bürger gehen dabei in die Richtung: „Ich denke die Digitalisierung wäre eine große Chance, gerade in Gegenden mit weniger Menschen den Öffentlichen Verkehr effizient und bedarfsgerecht zu gestalten. […] z. B. in Richtung Ruftaxi oder flexible Busrouten.“
Die Wirtschaft muss jetzt nachhaltig gestärkt werden. Dies gilt vor allem für den lokalen Einzelhandel. Wir müssen regionale Produkte noch stärker fördern und Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation zur Seite stehen. Darüber hinaus ist und bleibt die Anwerbung von Fachkräften eine Kernherausforderung für unsere Unternehmen.
"Günstiger Wohnraum und schöne Landschaft werden langfristig als Argumente nicht ausreichen, um Menschen zu überzeugen, zu uns ins Fichtelgebirge zu ziehen." So das Zitat eines Bürgers, weshalb es darum geht, zwar weiter mit den Vorteilen der Region zu werben, aber Menschen durch attraktive Angebote und lokale Aus- und Weiterbildung in der Region zu halten.
Letztendlich wollen wir auch im Handlungsfeld "Infrastruktur" Impulse setzen und die Lebensverhältnisse in unserer Region verbessern. Gerade zu Zeiten der Corona-Krise hat man gesehen, dass der Arbeitsort zunehmend an Bedeutung verliert, insofern eine gute digitale Infrastruktur vorhanden ist. Demzufolge bieten sich hier viele Chancen die Attraktivität einer Region als Wirtschaftsstandort und Lebensraum zu erhöhen.
Für die digitale Infrastruktur könnte beispielsweise der Ausbau des Mobilfunks vorangetrieben und kostenloses WLAN an alle öffentlichen Plätzen geschaffen werden. Darüber hinaus wollen wir durch die Etablierung von Datenplattform fachübergreifende Synergieeffekte erzielen. Neben der digitalen Infrastruktur gilt es für die Verkehrsinfrastruktur z. B. den Ausbau der Bahninfrastruktur voranzutreiben und unsere bestehende Radwegeinfrastruktur zu optimieren.
Bei all dem ist es natürlich sehr wichtig, den Menschen nicht zu vergessen und ihn entsprechend in die digitale Welt mitzunehmen.